Der lyrische Ulan

Humoreske von Ralph v. Rawitz.
in: „Auer Tageblatt und Anzeiger für das Erzgebirge” vom 10.10.1908


Jedes einz'ge Marschquartier,
Macht mir riesiges Pläsier,
Doch die Krone — ohne Zweifel —
Bleibt für mich Gut Ober-Eifel!

Also dichtete Bruno von Bochow, der eleganteste und übermütigste der Offiziere des gelben Ulanen-Regiments, als er erfuhr. daß eines der nächsten Manöverquartiere Schloß Ober-Eifel sein werde. Welche Erwartungen knüpften sich für ihn an diesen Namen! Dort wohnte der Geheime Rat Baron Eiflingen, der Bruder seines Regimentskommandeurs, des Obersten von Eiflingen. Dort gab es Sekt kübelweise, mit und ohne Pfirsich, Forellen, Schnepfen, kühle Zimmer, Badeeinrichtung, Gutspark mit See — kurz alles, was ein Leutnantsherz erfreut, das bisher mit Huhn in Zucker und Zimmt und schmutziger Bauernstube hat fürlieb nehmen müssen. Vor allem aber wohnte dort Baronesse Gerda, die Tochter des Geheimrats, das Ideal, das Bruno schon lange unter dem dritten, lieben lieben Knopf der Rabatte, das heißt in seinem lustigen Ulanenherzen trug. Während der ganzen letzten Ballsaison hatten Geheimrats in der Garnison Wohnung genommen, unzählige Male hatte er mit ihr getanzt, an ihrer Seite Eispartien unternommen und später Tennis gespielt. Unzählige Gedichte hatte er (natürlich nur für sich im stillen Kämmerlein) an sie gerichtet, von denen das schönste so lautete:

Ein Schilderhaus, das ist mein Herz,
Halb weiß, halb schwarz, halb Freud', halb Schmerz;
Es ruft die Wache drinnen: Wer da?
Der .....chste der Feinde: Gerda!

Das war nun einmal seine Passion, eine fürchterliche Passion Verse zu machen, wo nur irgend eine Gelegenheit sich bot. Es gab keinen Vorgesetzten, keinen Kameraden, den Ğr noch nicht besungen hatte, obwohl die Letzteren (die Ersteren hörten davon natürlich überhaupt nichts) es sich energisch verbaten und oft erklärten, sie würden ihn entweder wegen Injurien verklagen oder wegen Dichteritis an das Garnisonslazarett abliefern lassen. Hin und wieder gelang ihm auch eine bessere Strophe, und der Zufall hatte es gewollt, daß eine solche in die Hände von Baronesse Gerda gelangt war. Das schöne Mädchen war nicht unempfänglich geblieben für die Huldigungen des hübschen Offiziers, ja,eine kurze Zeit hatte es den Anschein gehabt, als werde sie dem Ulanen Gehör schenken. Die Strophe aber hatte sie bedenklich gemacht. Wir leben nicht mehr in der Minnesängerzeit, da es vereinbar war, Liebeslieder zu singen und den Gegner aus dem Sattel zu stechen. Heutzutage, im Zeitalter der Elektrizität und der Schreibewut, haben lyrische Ergüsse leicht etwas lächerliches und ein dichtender Ulanenleutnant kann als komische Figur gelten. Daher zog sie sich ein wenig zurück und war recht zufrieden, als die Saison zu Ende ging und als sie mit den Eltern wieder auf das Gut — Obereifel — übersiedeln konnte. Es gab Augenblicke, wo sie Bochow haßte, daß er auch an sie mit seiner Passion sich herangewagt hatte; aber diese Momente waren doch selten, und zumeist überwogen zärtliche Empfindungen für ihren einstigen Tänzer und Schlittenherrn.

Und diese Empfindungen wurden sehr ernsthaft, als sie eines schönen Nachmittags auf der Terrasse des väterlichen Schlosses ihn wieder begrüßte. Ihm aber wirbelte einfach das Dichterhaupt. Wie eine liebliche Sommergöttin stand sie da, in dem schlichten weißen Gewande, mit gelben Rosen im dunklen Haar, mit dem freundlichen Lächeln auf dem süßen Gesichtchen. Ganz berauscht von diesem Anblick, sowie von einem guten Tropfen aus den Kellern des Geheimrats, setzte er sich nach dem Dejeuner an seinen Schreibtisch und begann einen Liebeszyclus mit dem Titel: Die Rosenfee, in dem er seine Liebe, die Natur, die Reize des Landlebens, die Eindrücke der Begegnung mit Gerda besang. Höchst niederträchtiger Weise störte ihn in dieser Tätigkeit eine Ordonnanz seines Kommandeurs, die einen Zettel überbrachte, der sofort durch einen Offizier an den Divisionskommandeur, Herzog Alfred, zu befördern war. Zu diesem Ritt war Bochow kommandiert worden. So 'ne Gemeinheit, donnerte der verliebte Leutnant, so 'ne infame Niederträchtigkeit! Mich, ausgerechnet mich zu stören, mich auf viele Stunden aus diesen Räumen zu entfernen, wo sie weilt. In dieser Bruthitze zwei Meilen hin, zwei Meilen zurück!

Gräßlich bist du, mein Geschick,
Raubst mir ihren Liebesblick;
Eben sang ich noch voll Glanz
Bums! Da kommt die Ordonnanz!

Nachdem er so getobt, steckte er das Papier in einen Umschlag, den Umschlag in die Brusttasche und ging brummend in den Stall. Zwei Stunden später übergab er die Meldung an einen Generalstabsoffizier im Hauptquartier der Division. — Ich bin kein Laufbursche, der auf Antwort wartet, sprach er zu sich, auch ist mir davon nichts befohlen! Zurück nach Obereifel, was der Gaul laufen kann! Gerda wartet, die himmlische Nymphe am kastalischen Quell.

Da Brunow scharf ritt, kam er noch gerade zum Diner zurecht und konnte Baronesse Gerda zu Tisch führen. Nachdem die Tafel aufgehoben war, begab sich die Gesellschaft auf die schattige Terrasse. Hier plauderte man in Gruppen, während die Diener den Kaffee, Liköre und Zigarren präsentierten. Dazu spielte die Kapelle des Ulanen-Regiments die neuesten Walzer. Beim Klange dieser Weisen kamen Brunow seine vorhin durch den Ritt unterbrochenen Verse in den Sinn, die er achtlos auf dem Schreibtisch seines Zimmers hatte liegen lassen; die Befürchtung überfiel ihn, irgendeine indiskrete Stubenmagd oder ein Diener könnten davon Kenntnis nehmen. So beurlaubte er sich für einige Minuten von Gerda und schritt nach der ihm zugewiesenen Behausung im Seitenflügel des weitläufigen Schlosses, um seine Lyrik in Sicherheit zu bringen. Er war soeben auf der Treppe im Vestibül verschwunden, als ein Diener mit einem Telegramm in die Mitte der Gesollschaft trat: An den Herrn Obersten Baron Eiflingen. — An Mich? Nanu? Von der Division? Was ist denn da los? — Der Oberst las das ziemlich lange Telegramm mit einem immer ernster werdenden Gesicht, legte es dann zusammen und sagte bloß: Unerhört! — Es ist doch nichts Unangenehmes, Onkelchen? fragte Gerda, indem sie sich in seinen Arm hing. Oder sind es Dienstgeheimnisse, die man nicht wissen darf? — Halb ja — halb nein — na, wir sind hier unter uns! Das Telegramm ist vom Divisionskommandeur, Herzog Alfred, und lautet so: Mein lieber Eiflingen, Ihr Ordonnanzoffizier v. Bochow, hat mir irrtümlicherweise statt einer Meldung einen Lieder-Zyclus: An die Rosenfee überbracht; eine schlanke Brünette wird darin verherrlicht. Sehr hübsch und talentvoll! Offenbar an seine Braut gerichtet. Ich bitte Sie, ihm den Irrtum nicht nachzutragen, muß aber doch um sofortige Uebersendung der Meldung ersuchen. Ihr wohlgeneigter Alfred.

In diesem Augenblick kaum Bochow eilendem Schritt aus dem Portal: Herr Oberst, wenn ich einen Augenblick — — mir ist ein fataler Irrtum — — ein horribler Irrtum — — Der Geheimrat und der Oberst sahen bald den verlegenen Leutnant an, bald Gerda, auf deren Gesicht Blässe und Röte wechselten. Sie wäre umgesunken, hätte der Uebeltäter, der dies alles angerichtet, sie nicht rechtzeitig aufgefangen. Der Oberst nahm nun das Wort, nachdem er mit seinem Bruder einen Blick gewechselt hatte: Wir wissen bereits alles — eigentlich müßte ich Sie einsperren, Bochow! Aber ich habe so eine Ahnung, daß meine Familie mit daran schuld ist. Meine Nichte Gerda wird wohl mit bestraft werden müssen, als intellektuelle Urheberin und irrtumstiftende Rosenfee! Also Verurteilung zur lebenslänglichen Fesselung aneinander. So Kinder! Und nun gebt euch den ersten Kuß! — Jubelnd schloß Bochow die hocherrötende Gerda in die Arme und dann sang er mit glänzender Improvisation:

Meldung — Dichtung: Rosenfee —
Ausgetauscht — o Jemine!
Doch Pardon — Verlobungskuß —
Glück im Unglück! Hochgenuß!

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